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26. Mai 2025
Mutig auf unbekanntem Terrain
Neues wagen und Einblicke in die Tätigkeiten in Firmen des allgemeinen Arbeitsmarktes gewinnen, das konnten Klient*innen des Berufsbildungsbereichs im Rahmen von Projektwochen. Aber auch für die beteiligten Betriebe eröffneten sich neue Perspektiven.
Schon in die Vorbereitung der Projektwochen waren die Klientinnen und Klienten des Berufsbildungsbereichs (BBB) mit eigenen Ideen einbezogen. Sie konnten Vorschläge machen, welche Firmen dafür angefragt werden sollten. Die Idee für das Vorhaben, einwöchige Praktika für kleine Gruppen von zwei bis fünf Teilnehmer*innen in Firmen des allgemeinen Arbeitsmarkts zu organisieren, stammte von den Bildungsbegleiterinnen des Rabenhofs.
Für die Teilnehmer*innen sollten damit Möglichkeiten geschaffen werden, eigene Ängste zu überwinden, Neues auszuprobieren und Einblicke in berufliche Tätigkeitsgebiete zu erhalten. Ein weiteres Ziel war es, den beteiligten Firmen aufzuzeigen, dass es sich lohnen kann, Menschen mit einem Handicap eine berufliche Chance zu bieten.
Start im Familienunternehmen
Vier Firmen aus ganz verschiedenen Branchen erklärten sich nach einiger Suche schließlich zu dem Experiment bereit. Im September startete die erste Gruppe mit vier Teilnehmer*innen ihre Praktikumswoche bei der Firma Betzold. Unter dem Motto „Gemeinsam für Bildung“ ist das Familienunternehmen seit mehr als 50 Jahren Ausstatter für Schulen, Bildungseinrichtungen, Kindergärten und Krippen.
Unterstützt von Bildungsbegleiterin Uta Hiller, wurden im Logistikzentrum des Betriebs aus einzelnen Produkten fertige Sets zusammengestellt, die es anschließend zu verpacken und auf Paletten zu stapeln galt. Andere Produkte mussten für den Verkauf fertiggestellt werden. Zum Beispiel aus einem Biokunststoff mit Holzfasern gegossene Laufstelzen, die noch mit Schnüren und Etiketten zu versehen waren.
Die Arbeitstage endeten mit einem gemeinsamen Essen in der Betriebskantine. Die Klient*innen des Rabenhofs waren sich einig: Manche Abläufe in einem Betrieb, der mehr als 100.000 verschiedene Artikel an seine Kunden liefert, sind komplexer, anspruchsvoller und erfordern mehr Konzentration, als sie das von der Rabenhof-Werkstatt kannten. Das machte die Tätigkeiten zwar anstrengend, aber man ging am Ende des Arbeitstags auch mit einem Gefühl der Zufriedenheit nach Hause. Das gemeinsame Fazit: Man hatte gerne mitgearbeitet und sich als Teil der Firma gefühlt.
Vollautomatisch und mit Handarbeit
Eine Woche später trat die zweite Gruppe ihre Arbeitswoche bei der Firma Multipac an. Der Dienstleister mit rund 200 Mitarbeitenden bietet seinen Kunden Unterstützung in allen Fragen rund um Verpackung und Montage an, von flexiblen Handarbeitsplätzen bis hin zu vollautomatischen Fertigungslinien.
Fünf BBB-Klient*innen gingen mit Bildungsbegleiterin Katrin Meyer in die großen Werkshallen und falteten dort Kartons, verpackten und etikettierten Batterien und stapelten die bestückten Kartons auf Paletten. Dafür teilte sich die Gruppe auf. Das sorgte nicht nur für Abwechslung, sondern auch für eine Zusammenarbeit mit der Stammbelegschaft. Die Möglichkeit, die Teilnehmer*innen in die normalen Abläufe und die Mitarbeiterschaft zu integrieren, war der Firma besonders wichtig.
Dieser Aspekt wurde hinterher auch von den Rabenhof-Klient*innen besonders hervorgehoben. Neue und nette Menschen habe man in dieser Woche kennengelernt – aber auch einen anstrengenden Arbeitsalltag. Auch die Multipac-Mitarbeiter empfanden das Projekt als Bereicherung.
Kleine Aktiengesellschaft für Käse
In der zweiten Oktoberhälfte machte sich eine dreiköpfige Gruppe auf den Weg, um Einblicke in eine ganz andere Branche zu gewinnen. In der Dorfkäserei Geifertshofen werden jährlich aus 2,3 Millionen Litern Bio-Heumilch auf traditionelle Weise zwölf verschiedene Sorten Käse hergestellt. Die Milch wird von regionalen Landwirten geliefert. Zunächst einmal stand eine Hygieneschulung auf der Tagesordnung. Mit der passenden Schutzkleidung ausgestattet bestand die Aufgabe anschließend darin, Käselaibe mit Hilfe der vollautomatischen Schneidemaschine zu zerteilen und die Portionen zu verpacken, zu vakuumieren und zu etikettieren.
Ein Teilnehmer interessierte sich aufgrund seiner beruflichen Ausbildung ganz besonders für den technischen Bereich. Gemeinsam mit dem Techniker der Käserei nahm er die verschiedenen Maschinen unter die Lupe. Sein Fazit: „Hier würde ich sofort anfangen!“
Auch die anderen waren begeistert – von der Tätigkeit ebenso wie vom Arbeitsklima. Das Team der Käserei nahm die Gruppe wertschätzend auf und erläuterte die Abläufe genau. „Ich habe es geschafft und bin stolz auf mich“ und „Es hat Spaß gemacht und ich habe viel gelernt“ lauteten zwei beispielhafte Kommentare. Dass es nach der abschließenden Führung durch die Produktion für die Teilnehmenden auch noch eine große Käsetüte als Geschenk gab, trug ebenfalls zum rundum positiven Erlebnis bei.
Einzelpraktika in Aussicht
Die Hürden, um auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, sind für Menschen mit psychischen oder mehrfachen Einschränkungen oft hoch. Da sind die vielen neuen Menschen, die man nicht kennt und von denen man nicht weiß, wie sie auf einen reagieren. Da ist auch die Unsicherheit, nicht zu wissen, wo die richtige Anlaufstelle in der Firma bei einem Problem ist, und vielleicht nicht schnell genug zu verstehen, wie eine Arbeit erledigt werden soll.
Das alles beschäftigt auch die Klient*innen im Berufsbildungsbereich des Rabenhofs und kann sie davon abhalten, selbstständig den Schritt in ein Außenpraktikum zu wagen. Mit dem Projekt der begleiteten Praktikumswochen konnten manche dieser Ängste und gegenseitige Vorurteile abgebaut werden. Manche Teilnehmer*innen waren so begeistert, dass sie nun als nächsten Schritt Einzelpraktika anstreben.
| Ramona Appel