Ein Schichtwechsel mit Folgen

Die Ulmer Tannenhof-Werkstatt hat an einem Projekt mitgewirkt, das durch einen Arbeitsplatztausch von Klient*innen und Angestellten auf dem ersten Arbeitsmarkt neue Perspektiven schafft.

Zum fünften Mal hieß es am 12. Oktober in ganz Deutschland „Schichtwechsel“. So hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) ihr Projekt genannt, an dem die Habila-Werkstatt des Tannenhofs als eine von bundesweit 240 Werkstätten teilnahm. Neue Perspektiven einnehmen, Begegnungen für mehr Teilhabe schaffen: darum geht es bei diesem Aktionstag.

Antje Dietz, Jobcoach der Tannenhof-Werkstatt Tannenhof Ulm, übernahm die Koordination. „Wir haben ja bereits Kontakte zu einigen Betrieben. Die Vermittlung von Klienten in andere Betriebe fiel daher nicht schwer. Woran es mangelte, war leider die Kapazität der Mitarbeiter der Firmen, im Gegenzug auch in unsere Werkstatt zu kommen“, berichtet sie. Nach einiger Suche war jedoch klar: Es gibt ein Match – ein echter Schichtwechsel kommt zustande. Ramona Seefelder, Werkstatträtin in Ulm, und Lisa Popp, pädagogische Mitarbeiterin der IB Freiwilligendienste Ulm e.V., machten sich dafür auf den ungewohnten Arbeitsweg zur Arbeitsstelle der jeweiligen Partnerin.

„Für mich war das aber kein Problem. Ich habe das Büro gut gefunden“, erzählt Ramona Seefelder, während sie nach einer Stunde Einarbeitung gelassen Dokumente in die richtigen Abschnitte der Ablageordner einsortiert. Gezeigt hat ihr das Carolin Schray, die im selben Büro arbeitet. Bei rund 400 Freiwilligen, die im September gerade ihr Freiwilliges Soziales Jahr oder den Bundesfreiwilligendienst beendet haben, eine nicht zu unterschätzende Aufgabe.

Auch am Tannenhof sind beide Freiwilligendienstprogramme möglich. Mit den IB Freiwilligendiensten Ulm ist man daher schon lange in Kontakt. Deren Leiterin Judith Schmid war sofort begeistert: „Im IB-Büro können wir sowohl Einblicke in Verwaltungstätigkeiten als auch in den pädagogischen Bereich bieten. Inklusion ist für uns ein wichtiges Thema.“ Auch Freiwillige mit Behinderungen gibt es in den Seminargruppen des IB. „Für unsere Mitarbeiterin ist es toll, den Einsatzort der von ihr begleiteten Freiwilligen besser kennenzulernen und neue Erfahrungen im Bereich Inklusion zu sammeln“, so Judith Schmid.

Sie tauschten ihre Arbeitsplätze für einen Tag: Lisa Popp von den IB Freiwilligendiensten in Ulm (links) und Tannenhof-Werkstatträtin Ramona Seefelder.

Während sich Ramona Seefelder zusammen mit den anderen Teammitgliedern des IB in die Wochensitzung begibt, ist Lisa Popp in ein intensives Gespräch mit Gruppenleiter Danko Žalac in der Metallverarbeitung der Werkstatt verwickelt. Nach der Führung durch die verschiedenen Abteilungen der Werkstatt hat sich Gesprächsbedarf ergeben. Lisa Popp interessiert sich für die Organisation und die Angebote der Werkstatt und dafür, wie Klient*innen die passende Arbeit finden und wie ihr Alltag aussieht. Dann setzt sie sich selbst an den Arbeitsplatz und scannt Bücher für den Rebuy-Versand.

Aber nur kurz, denn um 11 Uhr ist schon Mittagessen angesagt, das sie in der werkstatteigenen Cafeteria einnimmt. Auch Ramona Seefelder verbringt die Mittagspause gemeinsam mit ihren neuen Teammitgliedern. Ohne Kantine, dafür im gemütlichen Pausenraum mit Proviant vom Netto-Markt nebenan. Sie ist zufrieden mit sich. „Ramona hat für die Terminfindung unserer Weihnachtsfeier die Lösung gefunden“, erzählt Judith Schmid. Nachdem sie sich die Diskussion eine Zeitlang angehört hatte, habe Ramona den entscheidenden Vorschlag gemacht: „Bei uns ist es immer so, dass wir die Weihnachtsfeier dann machen, wenn alles Wichtige gelaufen ist. Dann ist es wirklich für alle entspannt.“

Daraufhin legte das Team fest, die Weihnachtsfeier in den Januar zu verlegen, ohne Adventsstress und Terminnot. „Der Vorschlag war genial“, freut sich Judith Schmid. Auch der Rest des Tages verläuft hervorragend für Ramona Seefelder. Am Nachmittag macht sie den nächsten Schritt. Zusätzlich zum Aktenauflösen verschickt sie Zeugnisse und persönliche Unterlagen der ehemaligen Freiwilligen. „Es hat unheimlich viel Spaß gemacht“, sagt sie. Das findet auch ihre Kollegin auf Zeit. „Sie hat das toll gemacht und wir waren ein super Team“, lobt Carolin Schray.

Derweil scannte Lisa Popp in der Werkstatt Bücher für den Rebuy- Versand ein.

Auch Lisa Popp hat einen besonders guten Tag für den Schichtwechsel erwischt. Zusammen mit allen anderen Frauen in der Werkstatt ist sie eingeladen zum halbjährlichen Frauencafé. „Die Beauftragte für Menschen mit Behinderung der Stadt Ulm hat einen Vortrag gehalten. Es war klasse, mich zunächst mit anderen Klientinnen am Tisch zu unterhalten, die ich nicht aus meiner Hospitationsgruppe kannte, und dann noch meine Fragen an den Gast aus der Kommunalpolitik zu stellen.“

Am Ende kam sie gar nicht so viel zum Arbeiten, wie sie es sich vorgestellt hatte. „Es gab einfach so viel zu sehen, zu fragen und die Leute hier kennenzulernen. Ich hätte glatt noch mehr Zeit gebraucht“, meint sie. Zum Austauschtreffen eine Woche danach kommen beide Schichtwechslerinnen zusammen. „Wie hat es dir gefallen?“, will Lisa Popp wissen. Ramona Seefelder strahlt. „Einfach klasse! Ich war vorher sehr nervös, aber als ich angekommen war, war es eine prima Erfahrung. Und dir?“ Der Rückblick von Lisa fällt ebenfalls positiv aus: „Ich finde gut, dass ich es gemacht habe. Ich habe an diesem Tag viele Einblicke bekommen und einiges gelernt.“

Es soll nicht das letzte Mal gewesen sein, dass sich die beiden sehen. Denn anschließend stellt Antje Dietz die Möglichkeiten des Jobcoachings vor. Das führt zu einem ganz konkreten Plan. Die Runde vereinbart noch an Ort und Stelle einen Termin für ein längeres Praktikum beim IB. Läuft auch das so gut, könnte danach vielleicht sogar eine feste Anstellung daraus werden. Bei den IB Freiwilligendiensten Ulm und in der Habila-Werkstatt des Tannenhofs ist man sich einig: Der Aktionstag Schichtwechsel hat sich gelohnt – und darf gerne wiederholt werden.

| Nadine Paul

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