10. Januar 2019

Ein Mehr an Lebensqualität

Acht Jahre "Wohnen mit Assistenz" - ein Resümee

Acht Jahre „Wohnen mit Assistenz“ – ein Resümee

In vier Häusern der LWV.Eingliederungshilfe wird mit dem Konzept „Wohnen mit Assistenz“ gearbeitet, teilweise bereits seit acht Jahren. In diesen Häusern leben Menschen mit geistiger und/oder Mehrfachbehinderung nicht mehr in Wohngruppen, sondern in Wohnungen. Ein möglichst normales Leben mit einem hohen Maß an Entscheidungs- und Handlungsautonomie für Klienten ist das Ziel dieses bedarfsorientierten Settings, in dem Leistungen personenzentriert erbracht werden.

Die Mitarbeiter der Häuser arbeiten wie ambulante Pflegedienste in sogenannten Routen. Jede Route umfasst bis zu vier Wohnungen, in denen ein Mitarbeiter die erforderlichen Dienstleistungen erbringt. Da in einigen Wohnungen Klienten mit hohem Unterstützungs- und Pflegebedarf leben, sind Mitarbeiter in ihrem Arbeitsalltag auch mit den Grenzen autonomer Lebenspraxis konfrontiert. Die Präsenz in den Wohnungen ist daher bedarfsorientiert gestaltet.

Bereits im Jahr 2016 gaben Leitungskräfte, Mitarbeitende, Angehörige und Klienten bei einer Befragung eine Zufriedenheit von 70 bis 80 Prozent mit dem zweijährigen Projekt „Wohnen mit Assistenz“ für die Klienten der Häuser an. Von Oktober 2017 bis Februar 2018 wurden erneut 48 Mitarbeiter der vier Häuser gebeten, die Umsetzung des fachlichen Konzepts und der damit verbundenen fachliche Themen zu bewerten und die Ergebnisse zu diskutieren.

Die Bewertung wurde anhand eines Leitfadens mit Schulnoten vorgenommen. Die Evaluation diente dazu, positive Entwicklungen und Erfolge aufzuzeigen, Praxisprobleme zu identifizieren und die Umsetzung weiter voranzutreiben. Im Folgenden werden einige der zentralen Evaluationsergebnisse vorgestellt und durch Wortmeldungen von Mitarbeitenden, Klienten und Angehörigen ergänzt.

„Mein Zimmer schließ ich ab. Da kommt kein Fremder hin. Mir gefällt am besten, dass ich meine Ruhe habe!“

Die Wohnung als Privatraum sehen die Mitarbeiter der vier Häuser in den Wohnungen als gut bis befriedigend verwirklicht (Note 2–3). Sie agieren als Gäste in der Wohnung und respektieren die Privatsphäre der Klienten. Diese werden dabei unterstützt, die Wohnung als ihre eigene zu erleben (Note 2). Dass die stellvertretende Übernahme der Zimmerreinigung bei fehlender Regiekompetenz häufiger ohne Anwesenheit der Klienten stattfindet, wird von den Mitarbeitern als Abweichung vom fachlichen Konzept bewertet. Zukünftig sollen Klienten hier stärker beteiligt sein.

Als Herausforderung wird übereinstimmend beschrieben, dass viele der Klienten aufgrund ihrer langjährigen institutionellen Unterbringung die Privat- und Intimsphäre der Mitbewohner nicht ausreichend respektieren. Mitarbeitende beraten und unterstützen die Klienten hierbei kontinuierlich (Note 2+). Als erschwerend für die Umsetzung von Privatheit beschreiben Mitarbeiter, dass die Möglichkeiten der Türöffnung von Wohnungstüren für einige Klienten noch nicht optimal sind, da sie keinen Schlüssel verwenden können.

„Ich mag Kässpätzle und der Mitarbeiter kocht die mit mir. Dienstags kaufen wir beim REWE ein, was wir für die Woche brauchen.“

Die Wohnhäuser sind aus der Zentralversorgung weitestgehend ausgestiegen, wodurch viel mehr Dienstleistungen im Gemeinwesen in Anspruch genommen werden. Mitarbeitende bewerten ihre Unterstützung von Klienten in der selbstständigen Alltags- und Lebensführung mit der Note 2–. Ihre Stärken sehen sie darin, Klienten die Verantwortung für die Alltagsgestaltung zu übergeben, sie aktiv in Mahlzeiten und hauswirtschaftlichen Tätigkeiten einzubeziehen und wenn nötig strukturiert anzuleiten. Durch das neue Wohnkonzept sehen die Mitarbeiter bei den Klienten eine deutliche Entwicklung hin zu einem selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Leben. Sie eignen sich Erfahrungen und Wissen an und weiten ihre Handlungskompetenzen aus. Unterstützt wird dies durch die phasenweise Abwesenheit der Mitarbeitenden, an denen sich viele Klienten nach wie vor stark orientieren. „Man wird weniger gebraucht, wenn man nicht da ist“, berichtet ein Mitarbeiter. „Als ich abends später als gewohnt in die Wohnung kam, hatten die Klienten bereits den Tisch gedeckt und angefangen zu essen. Das hat mich sehr gefreut. Dass Gabeln und Butter fehlten, war dann nicht so wesentlich. Früher wären die Klienten nie von selbst an den Kühlschrank gegangen.“

„Die Wohnungsbesprechungen sind klasse. Da kann ich auch sagen, was mich ärgert und dann ist es besser.“

Die wöchentliche Wohnungsbesprechung der Mitbewohner mit einem Mitarbeiter ist fester Bestandteil des Zusammenlebens und des Alltags in den Wohnungen und damit zentrales Beteiligungsinstrument. Positive Effekte der Besprechungen sind aus Sicht der Mitarbeiter wie folgt: Klienten werden angeregt, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu äußern, miteinander zu kommunizieren sowie ihren eigenen Lebensstil zu entwickeln und zu leben. Sie organisieren ihren Alltag in den Wohnungen zunehmend selbstständig, verteilen Aufgaben im Haushalt und sprechen Essenswünsche ab. Konflikte untereinander werden thematisiert und moderiert. Drei von vier Teams vergeben für die regelmäßige Durchführung der Wohnungsbesprechungen die Note 2+ und bewerten die Qualität der Besprechungen und deren Ergebnisse als gut und hilfreich für das Zusammenleben. Im vierten Haus benotet das Team die Umsetzung von Wohnungsbesprechungen mit der Note 4–. Dort wurden mittlerweile Maßnahmen für eine zukünftig verbindliche Umsetzung ergriffen.

Insgesamt schätzen die Mitarbeiter die Qualität ihrer fachlichen Arbeit als gut ein. Zu spüren ist eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeitsweise sowie institutionellen Rahmenbedingungen und Strukturen. Die Mitarbeiter sind stolz auf das Erreichte, benennen aber auch konkrete fachliche Themen, an denen sie weiterarbeiten möchten.

Die Evaluation zeigt, dass „Wohnen mit Assistenz“ für die Klienten mit einem Mehr an Lebensqualität verbunden ist. Es findet Empowerment statt. Diese Wohnform leistet somit einen wichtigen Beitrag zur Enthospitalisierung, Deinstitutionalisierung und Gemeinwesenorientierung.

Dorothee Deterding


Zentrale fachliche Themen des Konzepts „Wohnen mit Assistenz“

 

  • Die Wohnung als privater Lebensraum
  • Unterstützung zur selbstständigen Alltags- und Lebensführung
  • Zugang der Klienten zu allen Lebensbereichen
  • Soziales Miteinander in der Wohnung
  • Freizeitgestaltung und Sozialraumorientierung
  • Arbeitsbündnis mit gleichgewichteter Beziehung
  • Kontinuität und Verbindlichkeit der Begleitung
  • Individuelle Teilhabeplanung und Dokumentation
  • Angehörigenarbeit

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