Januar 2023

Assistenzagentur Reutlingen

In Reutlingen ist die Assistenzagentur erfolgreich gestartet. Unter einem Dach sind Pflege-, Beratungs- und Betreuungsdienst miteinander verbunden.

Dies eröffnet Menschen mit schweren oder Mehrfachbehinderungen und Pflegebedarf Möglichkeiten, auch ambulante Wohnformen in Anspruch nehmen zu können. Durch die enge Verzahnung von Pflege- und Teilhabeleistungen können diese zum Vorteil der Klient*innen verknüpft erbracht werden. Auch die kurzen Kommunikationswege und Leistungen aus einer Hand erhöhen die Qualität des Angebotes. Selbstverständlich können Menschen mit Behinderung die Leistungen der Assistenzagentur ihren individuellen Wünschen und Bedürfnissen gemäß gebündelt oder auch einzeln abrufen.

Wichtige Erkenntnisse und Erfahrungen konnten innerhalb der Habila mit dem Modellprojekt „Wohnen am Gartentor“ gesammelt werden, das vor ziemlich genau 10 Jahren aus der Taufe gehoben wurde. Elf Wohnungen hat die Habila dort in zwei verbundenen Häusern am Reutlinger Gartentor angemietet. Sowohl kleine Wohngemeinschaften als auch Einzelwohnungen gibt es hier. Die Frage, ob es funktioniert hat, kann Julia Schäfer, Leiterin der Reutlinger Assistenzagentur der Habila, mit einem Satz beantworten: „Niemand, der in diesen zehn Jahren hier eingezogen ist, ist anschließend in ein stationäres Setting zurückgegangen.“ Um das Modell in ein dauerhaftes Angebot zu überführen, zahlt der Landkreis weiterhin für die Bewohnerinnen und Bewohner einen Pflegezuschuss. Nur so kann die Assistenz im ambulanten Rahmen auf Dauer finanziert werden.

Ebenfalls eine Erkenntnis aus dem Modell war, dass herkömmliche Pflegedienste damit oft überfordert sind. Nicht alle Pflegefachkräfte fühlen sich im Umgang mit bestimmten Behinderungsarten sicher. Zudem sind die Klient*innen in der Regel junge Erwachsene, die einer Arbeit nachgehen. Der Pflegedienst muss also früh am Morgen kommen, und zwar zu absolut zuverlässigen Zeiten. Die Menschen mit Behinderung sollen auch nicht „versorgt“ werden, sondern in ihrer Selbstständigkeit unterstützt werden. Bei der Grundpflege bedeutet das, dass sie die Dinge, die sie selbst erledigen können, auch selbst ausführen. Es geht also nicht darum, dass der Pflegedienst stellvertretend alles für den Menschen, den er pflegt, übernimmt. Dienstleistungen werden nicht auf die zeitlich effizienteste Weise absolviert, sondern die Assistenz auf die unverzichtbaren Hilfestellungen beschränkt. Das bedeutet konkret, dass der Pflegedienst auch mal warten muss, bis der oder die Klient*in soweit ist, denn nur so kann er seine Fähigkeiten erhalten oder ausbauen und so wiederum die Abhängigkeit von anderen abbauen.

Daher hat die Habila nun ihre Assistenzagentur um einen eigenen spezialisierten Pflegedienst erweitert. Oliver Müller-Threbank ist der Leiter des Pflegedienstes, der zum 1. November vergangenen Jahres seine Arbeit aufgenommen hat. Er bringt Erfahrungen aus der klassischen Altenpflege ebenso mit wie aus der psychiatrischen Pflege und kann deshalb vergleichen. „Schon die Themen, über die wir uns bei der Arbeit mit unseren Kunden unterhalten, sind ganz andere. Wir müssen aber auch ganz individuell und flexibel auf die wechselnden Anforderungen reagieren. Wer Spaß daran hat, gewohnte Denkmuster in der Pflege auch mal zu verlassen, der ist bei uns richtig“, sagt er. Vier examinierte Pflegefachkräfte arbeiten derzeit beim Pflegedienst der Assistenzagentur. Die Nachfrage wäre weitaus größer, sagt Müller-Threbank, denn der Pflegedienst versorgt nicht nur die Menschen, die am Gartentor wohnen. Er hat auch schon etliche externe Kunden.

Einer, der als Experte in eigener Sache darüber erzählen kann, was ein solches Angebot bedeutet, ist Rainer Schwieger. Vor fünf Jahren ist er aus einer stationären Einrichtung in eine Dreier-WG am Gartentor gezogen. Dafür musste er kämpfen. „Sie sind doch so schwer behindert, das können Sie doch gar nicht bewerkstelligen“, habe er damals zu hören bekommen. Wetten seien darauf abgeschlossen worden, wann er wieder in die stationäre Einrichtung zurückkehre. Auch seinen Eltern gegenüber musste er Überzeugungsarbeit leisten. Heute sagt er: „Hier zu leben ist für mich die beste Lösung.“ Er möchte anderen Mut machen, auch einen solchen Schritt zu wagen: „Wenn es schiefgeht, gibt es wieder andere Möglichkeiten – aber man hat es wenigstens probiert“, findet er. Und ist sich darüber im Klaren, dass es dieser speziellen Assistenz bedarf, damit es klappen kann. „Für mich ist diese Möglichkeit nicht selbstverständlich, weil ich auch schon anderes erlebt habe“, sagt er.

Info:

Weitere Informationen zum Angebot der Assistenzagentur Reutlingen gibt es im Internet unter www.habila.de/wohnen-assistenz/reutlingen/assistenzagentur.

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