Sturzerkennung in Besonderen Wohnformen

Bei dieser Fallstudie musste das Thema „Epilepsie“ wegen Technischer Grenzen aufgegeben werden. Durch die geleistete Vorarbeit konnte man sich aber ausführlich mit der „Sturzerkennung“ auseinandersetzen.

 

Kurzbeschreibung

Epileptische Anfälle sollen durch ein elektrisches System erkannt werden.

Das System soll die Fähigkeit besitzen bei einem erkannten Epileptischen Anfall einen Notruf an eine bestimmte externe Nummer abzusetzen.

Anfälle von Personen sollten unabhängig von Aufenthaltsraum und körperlicher Lage der Person erkannt werden.  

Problem

Menschen mit Epilepsie dürfen aufgrund rechtlicher Bestimmungen nicht in Besonderen Wohnformen ohne 24h-Betreuung aufgenommen werden.

Ziel

Ein System finden, dass in den verschiedenen Räumlichkeiten der Besonderen Wohnform angebracht werden kann und verschiedene epileptische Anfälle, unabhängig von der körperlichen Lage der betroffenen Person erkennt und das auch, wenn mehrere Personen im Raum sind. Das System soll die Art des Anfalls erkennen und einen Notruf absetzen, wenn Gefahr in Verzug ist.

Zweck

Neue Wohnmöglichkeiten für Menschen mit Epilepsie in Wohngemeinschaften der Besonderen Wohnformen ohne 24h-Betreuung finden.

Ressourcen

Die Mitarbeiter aus dem Ambulant Betreuten Dienst sind von 6 – 11.30 Uhr und 16.30 - 21.30 Uhr vor Ort. Ein externer Pflegedienst versorgt die Klienten in der Nacht und ist über einen Notrufknopf erreichbar.

Bisherige Lösung

Menschen mit Epilepsie konnten bisher nicht in Wohngemeinschaften der Besonderen Wohnformen ohne 24h-Betreuung aufgenommen werden.

Ergebnis

Ethische Aspekte wurden bei dem Austausch immer berücksichtigt.


In dieser Fallstudie nahm der Prozess vom ersten Lösungsvorschlag bis zu einer exemplarischen Testzeit etwa 14 Monate in Anspruch:

  1. Befüllen der oben genannten Punkte und ein projektinterner Rechercheauftrag.
  2. Veranschaulichung des Bedarfs und der örtlichen Situation durch Fotos und Videos.
  3. Fachliche und Ethische Fragestellungen im Prozess:
    - Wie kann ein Notruf abgesetzt werden ohne dass die betroffene Person noch aktiv handeln muss?
    - Sind andere Personen in der Nähe, die beim Absetzen eines Notrufs unterstützen können?
    - Ist es nötig, die Art des Notrufs aufgrund der Dringlichkeit von anderen abzugrenzen?
    - Muss das System nur nächtliche Anfälle erkennen können?
    - Wie können Anfallsarten unterschieden werden? Kann bei einem leichten Anfall auch anderes geschultes Personal aktiv werden?
    - Reicht es, ein System einzusetzen, dass einen Anfall auf zwei Ebenen erkennt z.B. Erkennen von Zuckungen und Erkennen von Stürzen?
    - Ist eine akustische oder visuelle Überwachung zulässig?
    - Funktioniert das System so schnell und zuverlässig, dass der Rettungsdienst noch nach gesetzlichen Vorgaben handeln kann?
    - Wenn kein Personal vor Ort ist, wie ist dann der Zugang zu den Räumlichkeiten gewährleistet?
    - Kann eine Häufigkeit von Alarmen oder Fehlalarmen abgeschätzt werden?
    - Wer trägt die Kosten für die Einsätze des Rettungsdienstes?
    - Dürfen in und am Gebäude bauliche Änderungen vorgenommen werden?
    - Ist der Träger durch Schäden Dritter im Zuge der Einsätze abgesichert?
    - Wer trägt die laufenden Kosten für ein solches System?


  4. Aus den Fragestellungen resultierten erste Ergebnisse und Entscheidungen zu thematischen Punkten:
    Anfallserkennung:
    a) eine Firma finden, deren System Anfälle erkennen kann, auch wenn verschiedene Personen verschiedene Arten von Anfällen bekommen können, und zudem schnell genug reagiert.
    b) Zusätzlich könnten Personen mit Matratzensensoren oder Handgelenkssensoren ausgestattet werden.
    - videobasierte Systeme werden datenschutzrechtlich ausgeschlossen.
    - akustische Systeme werden datenschutzrechtlich ausgeschlossen.
    Zudem könnte es bei mehreren Personen innerhalb der Wohneinheit zu Komplikationen kommen.

    Rufübermittlung:
    a) ein System entwickeln, dass zwischen dem Sensorsystem, zwischengeschalteten Diensten und der Rettungsleitstelle vermittelt.
    - konnte innerhalb des Projekts aufgrund des Aufwands nicht verfolgt werden
    b) Schnittstellen zur Rettungsleitstelle und anderen zwischengeschalteten Diensten herstellen
    - grundsätzlich ist es möglich einen Dienst dazwischen zu schalten, der einen Notruf identifiziert und an die Rettungsleitstelle weiterleitet um so unnötige Kosten für Fehlalarme zu sichern.

    Zutrittskontrolle:
    a) Der Rettungsdienst bekommt Zutritt über eine Fernsteuerung durch den Gebäudedienst (Verwaltung der elektrischen Türen).
    b) Oder es kann durch ein Code-Schloss gewährleistet werden.
    - Im Außenbereich könnte ein Schlüsseltresor angebracht werden, der im Notfall für den Rettungsdienst über einen Code zugänglich wäre.
  5. In dem Prozess musste dann eine Person gefunden werden, die bereit wäre, ein System innerhalb der Einrichtung auszutesten. Das gestaltete sich schwierig, da Menschen mit Epilepsie in den Besonderen Wohnformen bisher nicht zugelassen sind. Ein weiterer Rückschlag in dieser Fallstudie war der Fakt, dass es bisher kein System gibt, das Epileptische Anfälle genau erkennen kann.
  6. Man entschied sich, die Vorarbeit dieser Studie zu nutzen und Systeme der Sturzerkennung konkret zu testen. Dabei kamen zwei Systeme in Frage:
    - nach vielen Vorbereitungen, die u.a. bauliche Veränderungen oder das Anschaffen von Wlan-Systemen beinhalteten, musste man feststellen, dass die Firma nicht den datenschutzrechtlichen Auflagen nachkommen kann.
  1. Es wurde entschieden das zweite System in der Einrichtung zu testen. Die technische Realisierung wurde Ende November 2021 geplant, die Hardware bestellt und durch Fachpersonal am 15. Dezember 2021 installiert und in Betrieb genommen. Im Rahmen der Inbetriebnahme wurde festgestellt, dass an der Sensoreinheit ein Defekt vorlag. Der Hersteller sendete Ersatz, so dass die Inbetriebnahme Anfang Januar 2022 abgeschlossen werden konnte.
  1. Aufgrund der kurzen Zeit wurde das System auf zwei Arten getestet.
    1. Test im Regelbetreib der Einrichtung: Im Januar 2022 wurden in einer Woche drei Sturzereignisse vom Sensor gemeldet. In allen Fällen handelte es sich um Falschmeldungen. Der Klient selbst ist in diesem Zeitraum nicht gestürzt.
    2. Test verschiedener Sturzszenarien durch Experten: Es wurden 6 Sturzszenarien entwickelt, die am 18.1.2022 in der Wohnung des Klienten getestet werden sollten. Die verschiedenen Szenarien konnten nicht korrekt vom Sensor System erkannt werden.

Fazit

Es ist davon auszugehen, dass Sturz ein sehr komplexes Geschehen ist, welches durch die Indikation Epilepsie noch schwieriger zu erkennen ist. Die am Markt vorhandenen Sensorsysteme setzen auf verschiedene Technologien (u.a. Kameras, Radar, Accelerometrie), um Stürze oder Anfälle zu erkennen. Die getesteten Systeme erfüllen aktuell nicht die Anforderungen, die in der Fallstudie erarbeitet wurden. Es ist denkbar, dass die Systeme sich weiterentwickeln können (vgl. Reflektion zum Technikeinsatz in Fallstudien). Hierfür zeigte sich der Hersteller offen.